Anthropometrische Fotografie, St. Jakob im Rosental, Sommer 1938.
Foto: Archiv des Departments für Anthropologie der Universität Wien
Beispiel eines standardisierten Messbogens, wie er anlässlich der „rassenkundlichen Untersuchung“ in St. Jakob im Rosental Verwendung fand, Sommer 1938.
Quelle: Archiv des Departments für Anthropologie der Universität Wien
Vermessen
Wenige Monate nach dem „Anschluss“ Österreichs an Hitlerdeutschland wurden im Sommer 1938 über achzig Prozent der Gesamtbevölkerung von St. Jakob im Rosental nach „rassenkundlichen Kriterien“ vermessen und fotografiert. Im Auftrag des Reichsgaues Kärnten begutachtete der Wiener Anthropologe Karl Tuppa mit drei Mitarbeitern innerhalb von fünf Wochen rund 3200 Personen – ausgenommen von der Untersuchung blieben Kleinkinder und Kranke.
Die pseudowissenschaftliche Studie führte zum selben Ergebnis wie alle anderen derartigen Gauuntersuchungen im Deutschen Reich. Auch in Kärnten vermeinten die Anthropologen, das Vorherrschen eines „nordischen Typus“ festzustellen. Die daraus gezogene Schlussfolgerung war vorhersehbar: Bei den slowenischen Gebieten im Unterkärntner Raum handelte es sich demnach um „urgermanischen Boden“. Die anthropologische Datenauswertung sollte nicht nur etwaige jugoslawische Besitzansprüche abwehren, sondern auch eine wissenschaftliche Grundlage für die rassistische Bevölkerungspolitik der Nationalsozialisten schaffen.
Gasthof Matschnig, Rosenbach 1931.
Foto: Privatarchiv Michael Koschat
Ein Gemeindemitglied aus St. Jakob im Rosental erschien mit Hakenkreuz am Revers zur Untersuchung, Sommer 1938.
Foto: Archiv des Departments für Anthropologie der Universität Wien
Im Gegensatz zur slowenischen Bevölkerung wurden „Nordisch-“ bzw. „Deutschstämmige“ durch ein dickes Plus ausgewiesen.
„Vermessungsamt“ – St. Jakob im Rosental
Im Zuge der Recherchen zu dem Ausstellungsprojekt „Vermessungsamt“ konnten am Department für Anthropologie an der Universität Wien die Originalunterlagen zu der im Sommer 1938 durchgeführten „rassenkundlichen“ Kampagne in St. Jakob im Rosental gefunden werden. Der Archivfund im Dezember 2014 löste bei den Anthropologinnen und Anthropologen nicht nur großes Befremden aus, sondern stellte geradezu eine mittlere Sensation dar, war doch bis zu diesem Zeitpunkt keine derart umfassende anthropologische Vermessungsaktion in Kärnten bekannt gewesen.
St. Jakob im Rosental wurde nicht zufällig zum „rassenkundlichen“ Studienobjekt auserkoren. Die ortansässigen Nationalsozialisten waren bereits in den frühen 1920er-Jahren in Erscheinung getreten, als sie mit der NS-Lehrerschaft, dem Kärntner Heimatbund, dem deutschen Turnverein und den deutschvölkischen Schutzvereinen gemeinsame Sache gemacht und ihre antislowenische Hetze in der Gemeinde betrieben hatten.
Im Sommer 1938 wandte sich der Kärntner Schulreferent und NS-Landesrat Ernst Dlaska an das Wiener Anthropologische Institut mit dem Ersuchen, „eine für das gemischtsprachige Gebiet charakteristische Gemeinde in ihrer Gesamtheit rassenkundlich zu bearbeiten“. Der Anthropologe Karl Tuppa wurde daraufhin mit der Durchführung dieser Arbeit beauftragt, für welche Dlaska die erforderlichen Mittel aufbrachte. Laut Tuppa wurde „in Zusammenarbeit mit Kärntner Kreisen die Gemeinde St. Jakob im Rosental als die geeignetste für diese Untersuchung ausgewählt“.
Als hochrangiger SS-Führer leistete der Hauptschullehrer Ernst Dlaska, der der SS 1931 beigetreten war, bereits während der Verbotszeit innerhalb der Kärntner Lehrerschaft „Aufbauarbeit für ein nationalsozialistisches Österreich“, wie er es selbst formulierte. Unter den illegalen Nationalsozialisten der Gemeinde befand sich auch der mit Herbst 1936 der Volksschule St. Jakob im Rosental zugeteilte Lehrer Fritz (Friedrich) Dimnig.
Karl Tuppa – Gutachter des Todes
Nachdem Eberhard Geyer, Institutsvorstand für Physische Anthropologie an der Universität Wien und illegales NSDAP-Mitglied seit 1933, im Jahr 1943 verstorben war, übernahm Karl Tuppa provisorisch die Institutsleitung. Tuppa war seit 1935 illegales NSDAP-Mitglied gewesen. Die Erstellung von „erbbiologisch-rassenkundlichen“ Gutachten war einer der Schwerpunkte des Instituts. Mit dem „Anschluss“ hatten auch die „Nürnberger Rassengesetze“ von 1935 für Österreich Geltung erlangt und die Gutachtertätigkeit nahm neue Dimensionen an.
Anthropologen und Anthropologinnen erstellten fortan „erbbiologisch-rassenkundliche“ Expertisen in Fällen, wo aufgrund fehlender Urkunden ein „Verdacht auf jüdische Abstammung“ vorlag, beziehungsweise in solchen Fällen, in denen abgeklärt werden sollte, ob jemand im Sinne der „Nürnberger Gesetze“ als „Jude“ oder „jüdischer Mischling“ galt. Methodische Unzulänglichkeiten wurden in Konjunktiven umschifft. Die Gutachten wurden sowohl vom Anthropologischen Institut als auch am Naturhistorischen Museum anfertigt. Damit waren die Anthropologinnen und Anthropologen direkt in den Verfolgungs- und Vernichtungsapparat des NS-Regimes involviert: Ihr Urteil war mitentscheidend für das weitere Schicksal der Menschen.
Die Vermesser
Die sogenannte Rassenkunde, die Lehre von der Einteilung vermeintlicher „Rassen“ nach Typen oder sogenannten Systemrassen, beruhte nicht auf naturwissenschaftlichen, verifizierbaren Standards.
Ihre Vertreter arbeiteten vielmehr mit allen erdenklichen Kategorisierungen, um anhand von Schädelmessungen und der Erfassung verschiedener Gesichtsformen, von Haut-, Haar- und Augenfarben, Nasenlängen, Ohrkrümmungen etc. pseudowissenschaftlich konstruierte „Rassentypen“ zu belegen und diese Art von „Forschung“ zu legitimieren. Zudem vertraten die „Rassenforscher“ die Ansicht, dass einer „Rasse“ neben physiognomischen auch seelische Eigenschaften innewohnten („Rassenseelenkunde“). So glaubte der Kärntner Volkskundler Georg Graber beispielsweise, dass „die große Tat des Abwehrkampfes“ nur durch die „nordisch-heldischen Rassenzüge“ des Kärntners zu erklären sei.
Lang- und Kurzköpfe
Der physische Anthropologe Emil Zuckerkandl glaubte in den 1880er-Jahren im Wörterseeraum relativ häufig, die sogenannte langköpfige Schädelform auszumachen. Ein Umstand, der für ihn auf „eine dichte Vertretung des ursprünglich germanischen Elementes“ hindeutete.
In dieselbe Kerbe schlug wenige Jahre später Augustin Weisbach, der um 1900 systematisch österreichische Soldaten vermessen hatte und dabei zu dem Schluss gekommen war, dass die Deutschen in Kärnten im Vergleich zu denen in der Steiermark, Salzburg, Ober- und Niederösterreich die meisten Langschädel aufwiesen. Demnach war für ihn der „nordisch-germanische Einschlag“ in Kärnten am stärksten.
„Rassenuntersuchungen“ in Slowenien
Die Nationalsozialisten wandten ihre rassistische Bevölkerungspolitik in allen Gebieten an, die sie als „Lebensraum“ zu erobern beziehungsweise zu „germanisieren“ gedachten.
So waren bereits vor dem deutschen Überfall auf Jugoslawien im April 1941 sämtliche Vorbereitungen für die „Germanisierung“ slowenischer Gebiete getroffen worden, die de facto als Oberkrain und Untersteiermark annektiert wurden. Zunächst hatte die SS für Slowenien die gewaltsame Aussiedelung von 260.000 Personen in Aussicht genommen.
Deportation
Mitte April 1942 erreichte die nationalsozialistische Entnationalisierungspolitik in Kärnten mit der Deportation kärntnerisch-slowenischer Familien einen Höhepunkt. Die Pläne zur zwangsweisen „Aussiedlung“ wurden in Kärnten ausgearbeitet, die unmittelbare Direktive kam aus Berlin.
Die Aussiedlungsaktion im Sinne nationalsozialistischer Rassen- und Volkstumspolitik hatte die rigorose „Eindeutschung“ des gemischtsprachigen Gebietes in Kärnten zum Ziel, ähnlich wie dies 1941 bereits in Oberkrain und in der Untersteiermark in die Tat umgesetzt worden war. Organisation, Kommandostrukturen, Durchführung und Ablauf lassen ein nahezu identisches Muster erkennen.
Alois Maier-Kaibitsch, der nach dem „Anschluss“ zum NS-Landesrat und Leiter der Volkstumsstelle avancierte, wurde zum Koordinator der Gewaltmaßnahmen des NS-Regimes gegen die Slowenen in Kärnten. Bei einer Tagung des Gauamtes für Volkstumsfragen am 10. Juli 1942 bekannte er mit Blick auf die bereits begonnene Vertreibung slowenischer Familien aus Kärnten freimütig: „Die Ereignisse auf dem Balkan im Vorjahre geben uns die Handhabe, im Gebiet nördlich der Karawanken mit der sogenannten slowenischen Minderheit Schluss zu machen.“
Schließlich wurden aus Kärnten insgesamt 917 Personen in verschiedene Lager des Deutschen Reichs deportiert, von wo aus sie von der Volksdeutschen Mittelstelle in weiterer Folge unter anderem als Zwangsarbeiter der Rüstungsindustrie oder als Landarbeiter zugeteilt wurden. Aus der Gemeinde St. Jakob waren 8 Familien mit 42 Personen von der Aussiedlung betroffen.
Die Schädelsammlung der Anthropologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums in Wien umfasst über 40.000 menschliche Schädel, die Forschungszwecken dienten und dienen, Wien 2017.
Der wissenschaftliche Rassismus untermauerte seine Theorien auch durch die Knochensammlungen. Bei der im 19. Jahrhundert einsetzende Jagd nach Gebeinen wurde jegliche Pietät missachtet: Die Totenruhe wurde gestört, Leichen wurden geraubt und die Körper Verstorbener, deren Überreste für die Anthropologen von großem Interesse waren, geschändet. Der Anthropologe Robert Routil, seit 1940 am Naturhistorischen Museum beschäftigt, publizierte 1939 ein Werk über die „Völker und Rassen auf dem Boden Kärntens“. Darin veröffentlichte er neben den Ergebnissen seiner Vermessungen an lebenden Personen auch Ergebnisse zu „rassenanthropologischen“ Untersuchungen an archäologischen Skelettfunden und Gebeinen aus Kärntner Beinhäusern.
Foto: Werner Koroschitz, Villach
Rassistische Wissenschaft
In der NS-Ideologie fanden sich Kärntens völkische Wissenschaftspositionen wieder, die ein Großdeutschland mit sämtlichen abgetretenen und verlorengegangenen Grenzgebieten anstrebten. Mit der Gründung des Instituts für Kärntner Landesforschung im Jahre 1942 war auch eine entsprechende, nationalsozialistisch und volkstumswissenschaftlich ausgerichtete Institution in Kärnten geschaffen worden.
Bis dahin war der kleine Geisteswissenschaftsbetrieb hauptsächlich von zwei personell eng miteinander verbundenen Institutionen getragen worden: von dem Mitte des 19. Jahrhunderts gegründeten Geschichtsverein für Kärnten und dem 1904 errichteten Kärntner Landesarchiv, das nach dem Ersten Weltkrieg wiederum eng mit dem aggressiv antislowenisch agierenden Kärntner Heimatbund verbunden war. Die in diesen Institutionen bezüglich der Kärntner Landesgeschichte zunehmend deutschvölkisch orientierten Forscher vertraten vermehrt die Vorstellung von einer geistigen und „rassischen“ Überlegenheit deutscher Kultur.
Kärntens „Volkstumsexperten“
Das Ausmaß an Kooperation und Vernetzung zwischen „völkischen“ Kultur-, Sozial- und „Rassen“-wissenschaftern einerseits und NS-Volkstumsbürokraten und politischen Entscheidungsträgern andererseits verdeutlichte, welchen Einfluss die Wissenschaftseliten auf die menschenverachtende Bevölkerungspolitik der Nationalsozialisten besaßen.
Neben den zahlreichen wissenschaftlichen „Volkstumsexperten“ aus dem „Altreich“ waren auch namhafte Wissenschafter aus Österreich beziehungsweise Kärnten in die Planung und Realisierung der „völkischen Flurbereinigung“ involviert. Unter den tonangebenden (diesfalls durchwegs männlichen) Kärntner Experten befanden sich Historiker wie Martin Wutte, Karl Starzacher und Karl Dinklage, Volkskundler wie Georg Graber, Oskar Moser und Franz Koschier, Geographen wie Günter Glauert und Viktor Paschinger und Germanisten wie Eberhard Kranzmayer, um nur einige von ihnen zu nennen.
„Rassenkundliche“ Untersuchungen in Kärnten
Unter dem Titel „Anthropologische Wanderung durch Kärntner Schulen“ hielt der Anthropologe Karl Tuppa 1937 einen Vortrag in der „Wiener Gesellschaft für Rassenhygiene“, in dem er berichtete, gemeinsam mit seiner Frau und einer Mitarbeiterin „in den Gebieten von Klagenfurt-Land und Villach-Land 33 Schulen mit ungefähr 5000 Kindern in 6 Wochen“ untersucht und auch einige Fotografien angefertigt zu haben. Teil des Vortrags war eine Präsentation „typische[r] Rassenbilder unter besonderer Berücksichtigung der nordischen Rasse“.
Das „umfangreiche Material“ aus den 1930er-Jahre und der NS-Zeit beinhaltete auch Unterlagen zu Untersuchungen, durchgeführt an über 10.000 Schulkindern in den Bezirken Völkermarkt, Wolfsberg, Klagenfurt und Villach. Weiters lagerten in den Archiven Materialien zu „erbbiologischen“ und „rassenbiologischen“ Erhebungen, die Johann Jungwirth, aktiver Nationalsozialist seit Beginn der 1930er-Jahre, im Sommer 1937 in der „rein deutschen Gemeinde“ Feld am See an 450 Männern, Frauen und Kindern durchgeführt hatte.
NS-Propaganda in der Zeitschrift Volk und Rasse gegen Erbkranke und den angeblich von ihnen verursachten volkswirtschaftlichen Schaden, 1936.
Quelle: Dokumentationsstelle Hartheim des Oberösterreichischen Landesarchivs, Linz
Ein Erziehungsheim für 130 „Schwachsinnige“ kostet 104.000 Reichsmark. Damit hätten 17 Eigenheime für „erbgesunde“ Arbeiterfamilien gebaut werden können. Mit Beispielen wie diesem sollte der Schuljugend beigebracht werden, dass psychisch kranke und behinderte Menschen ein unnötiger Kostenfaktor wären.
Quelle: Alfred Vogel, Erblehre, Abstammungs- und Rassenkunde in bildlicher Darstellung,
Tötung „unwerten“ Lebens
Mehrere Einwohner aus St. Jakob im Rosental wurden aufgrund tatsächlicher oder vermeintlicher körperlicher und geistiger Beeinträchtigungen in den „Euthanasie“-Tötungsanstalten Schloss Hartheim bei Linz und Brandenburg an der Havel oder in der Kärntner Landes- Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke in Klagenfurt als Opfer des NS-Rassenwahns ermordet.
Maria Krautzer, geboren 1894 in Hundsdorf. Sie lebte in St. Jakob als Gemeindearme und wurde im Mai 1939 nach mehrjähriger Pflege im Klagenfurter Siechenhaus in die „Landes-Irrenanstalt“ in Klagenfurt eingewiesen. Am 25. August 1940 wurde Maria Krautzer nach Niedernhart (Schloss Hartheim) überstellt und dort ermordet.
Josef Kattnig, geboren 1912 in St. Jakob im Rosental. Der arbeitslose Tischlergehilfe wurde im Mai 1936 wegen attestierter Schizophrenie in die „Landes-Irrenanstalt“ in Klagenfurt eingewiesen und mit dem Transport vom 24. März 1941 nach Niedernhart überstellt und ermordet.
Rupert Pichler, geboren 1890 in Schiefling und seit 1938 in Winkl wohnhaft. Er war bis November 1939 als Hilfsarbeiter in Villach tätig. Im Mai 1940 folgte die Entmündigung wegen angeblicher „Geisteskrankheit“. Er wurde mit dem Transport vom 29. Juni 1940 nach Niedernhart überstellt, wo er sofort nach der Ankunft im Schloss Hartheim vergast wurde.
Philipp (Filipp) Nassimbeni, geboren 1889 in St. Jakob im Rosental. Der in der Steiermark beschäftigte Maurer befand sich von April 1936 bis Februar 1937 wegen Demenz in der Heilanstalt Am Feldhof in Graz. Seine Überstellung nach Klagenfurt erfolgte am 17. Februar 1937. Nassimbeni wurde am 29. Juni 1940 nach Niedernhart überstellt. Ermordet wurde er möglicherweise aber in der Tötungsanstalt in Brandenburg an der Havel.
[…] Es gibt keinen wissenschaftlichen Grund, den Begriff ‚Rasse‘ weiterhin zu verwenden.
„Rasse“ – Ein Konstrukt
Beim Studium aktueller „rassenkundlicher“ Werke fällt auf, dass die Anthropologen Menschen nach wie vor nicht nach naturwissenschaftlich definierten Merkmalen klassifizieren können, sondern sich dabei von Alltagsvorstellungen ihres kulturellen und sozialen Umfeldes leiten lassen.
Die Existenz von „Rassen“ wird dabei als Faktum dargestellt, und die Vorstellung, dass kulturelle Leistungen „rassenbedingt“ seien und die „Rasse“ auch den Volkscharakter präge, findet sich in entsprechenden Publikationen bis heute. Das „Rassenkonzept“ ist absolut untauglich, um die genetische Verschiedenheit der Menschen in ihrer individuellen und geografischen Vielfalt angemessen zu erfassen. Für Ulrich Kattmann ist deshalb der Abschied vom anthropologischen Rassenbegriff Teil eines wissenschaftsethisch notwendigen Konzeptwandels.
Satire wider den Rassenwahn
John Heartfield versah seine 1933 publizierte Fotomontage „Neuer Lehrstuhl an deutschen Universitäten“ mit folgendem Text: „Ein Professor Witlawopsky von der Universität Heidelberg hat festgestellt, daß das menschliche Hühnerauge, allerdings nur das germanische, befähigt ist, in die Zukunft zu schauen.
Hitler hat sogleich nach Bekanntwerden der Entdeckung des genialen Forschers die Überführung von 1300 Hühneraugen-Operateuren ins Konzentrationslager angeordnet.“
Heartfield karikierte und ironisierte in dieser Collage die Tüchtigkeit der „deutschen Wissenschaft“ und die terroristischen Folgen der Wissenschaftsgläubigkeit des NS-Regimes. Heartfield gibt sehr präzise das Verhältnis von „reiner“ Wissenschaft und Nationalsozialismus wieder.
Kunstbeiträge

Angélica Dass, Humanæ,
Work in progress, seit 2012/od 2012
Fotoprint /Tisk
Humanae ist ein fotografisches Langzeitprojekt, ein „Work in progress“ der Künstlerin Angélica Dass; eine ungewöhnlich direkte Betrachtung zum Thema Hautfarbe und ein Versuch, die wahren menschlichen Farben zu dokumentieren, anstatt der falschen Etiketten „weiß“, „rot“, „schwarz“ und „gelb“, die gewöhnlich mit „Rasse“ assoziiert werden. Es ist ein sich ständig weiterentwickelndes Projekt, das zu zeigen versucht, was das menschliche Wesen ausmacht, nämlich seine unvermeidliche Einzigartigkeit und somit seine Vielfalt. Der Hintergrund jedes Porträts ist in einem Farbton gehalten, der aus einem Quadrat von elf mal elf Pixeln aus der Nase des oder der Fotografierten entnommen und mit einem Farbton der Pantone®-Farbpalette abgestimmt wurde.

Samira Fux, Hannes Gröblacher
Privilegienrolle/Valj privilegij, 2018
Installative Interpretation des Textes/Inštalativna interpretacija besedila „White Privilege: Unpacking the Invisible Knapsack“ von Peggy McIntosh, 1997
Meine Ausbildung hat mich nicht trainiert, mich selbst als Unterdrückerin zu sehen, als unfair begünstigte Person, oder als Mitwirkende an einer beschädigten Kultur. Mir wurde beigebracht, mich als Individuum zu sehen, dessen moralischer Zustand vom individuellen moralischen Willen abhängt. Meine Ausbildung folgte dem Muster meiner Kollegin Elizabeth Minnich, die darauf hingewiesen hat: Weiße lernen, über ihr Leben als moralisch neutral, normativ und durchschnittlich und auch ideal zu denken, so dass, wenn wir auf das Wohl anderer hin arbeiten, das als Arbeit dahin gerichtet gesehen wird, die „ihnen” erlaubt, mehr wie „wir” zu sein.
Katarina Matiasek, Archiv & Knoten I–IV
Fotopapier auf Aluminium
Birgit Bachmann, Zwietracht, 2018
Alpine Kulturtechnik
Nadja Pörtsch, Iris-Scan, 2018
Fotomontage nach einer Idee von Angélica Dass
Fritz Russ, o. T., 2018
Metallarbeit
Rudolf Melcher, o. T., 2018
Video, LED Bildersäule
Rudolf Melcher, o. T., 2018
Transhumanismus
ZeitzeugInnen
Franz Rasinger (*1925)
Franz Rasinger war ÖBB-Bediensteter und 15 Jahre lang Vize-Bürgermeister (SPÖ) der Gemeinde St. Jakob im Rosental. Er konnte sich fragmentarisch an die Vermessungsaktion erinnern.
Maria Perhaj (* 1921)
Maria Perhaj stammt aus Schlatten, lebt jedoch seit 1948 in Ljubljana. Sie war Lehrerin und ist trotz ihres hohen Alters noch sehr rege. Bei der Vermessung war sie nicht dabei, weil sie im Sommer 1938 die Haushaltsschule besuchte. Ihr Großvater hatte ihr aber von der Vermessungsaktion erzählt.
Maria Jobst (* 1925)
Maria Jobst musste bald nach dem „Anschluss“ auf einem Gutshof in Treffen ihr „Pflichtjahr“ absolvieren. Danach arbeitete sie in Bad Gastein. Sie erinnerte sich an die Vermessung.
Josef Greibl (* 1929)
Als Kind lebte Josef Greibl in St. Peter. Er war bei der Vermessung nicht dabei. Seine Mutter arbeitete zu der Zeit in Pörtschach, während er bei seiner Tante aufwuchs. Im gemeinsamen Haushalt lebte auch eine körperlich und geistig beeinträchtigte Frau namens Fani, die Tochter seines Onkels aus erster Ehe. Fani hätte den Behörden gemeldet werden müssen, doch die Familie versteckte sie zu Hause und rettete ihr dadurch das Leben.
Valentin Müller (* 1932)
Valentin Müller stammt aus Maria Elend. Er konnte sich an die Vermessung gut erinnern und erzählte uns die Geschichte von seinen Zwillingsschwestern. Die beiden waren damals drei Jahre alt und mussten auch zur Vermessung. Eine der beiden sah dem Großvater sehr ähnlich. Der Mann, der sie fotografiert hatte, wollte wissen, wer der Vater dieses Mädchens sei. Der Vater sagte: „Es sind Zwillinge. Sie sind beide von mir.“ Da nahmen sie ihn noch mehr ins Visier. Schließlich war er auch überzeugter Slowene.
Regina Smolle (* 1930)
Bei unserem ersten Gespräch konnte sich Regina Smolle nicht an die Vermessung erinnern. Ich habe sie gebeten, sich die Fotografien der Vermessungsaktion anzusehen, dabei hat sie rasch einige Personen erkannt. Deswegen überließ ich ihr die Fotomappe über Nacht und bat sie, die Namen der Personen, die sie identifizieren konnte, niederzuschreiben. Noch am selben Abend rief mich Regina Smolle an. Aufgebracht bat sie mich, am nächsten Tag noch einmal vorbeizukommen, denn sie habe sich selbst auf einem der Bilder wiedererkannt.
Alltagsrassismus
Hossein Sajjadi
ist 24 Jahre alt und floh im Jahre 2015 nach Österreich. Bis vor Kurzem lebte er in der Flüchtlingsunterkunft in St. Peter im Rosental. Im Iran studierte er Elektrotechnik, doch aufgrund der schwierigen politischen Lage musste er das Land verlassen. „Im Iran“, sagt er, „sind wir am Leben, aber nicht lebendig.“
Marco Springer
geboren im August 2000, aufgewachsen in Friesach, lebt nun in Wien und besucht dort die HAK. Seit seiner Geburt leidet er an spastischer Diplegie. Das bedeutet, dass Hände, Füße und Muskeln den Zustand der Entspannung nicht kennen. Sie sind dauerhaft unter Anspannung und er hat sie nicht immer unter Kontrolle. Die Ärtzinnen und Ärzte prognostizierten eine geringe Lebenserwartung. Nun ist er 18 Jahre alt und hat mit Hilfe von Therapien vieles wieder erlernt. Von sich selbst sagt er: „Ich bin eine lustige Mischung: ein halber Jugo, ein halber Österreicher und ein ganzer Behinderter.“
Pindi Mahal
aus Klagenfurt ist 34 Jahre alt und hat einen kleinen Sohn. Sie macht sich gerade selbstständig und möchte nächstes Jahr einen Eissalon eröffnen. Ihre Eltern stammen aus dem Punjab in Indien. Sie selbst lebte als Kind, nachdem sie in Klagenfurt geboren wurde, bis zum fünften Lebensjahr in Indien. Seit Pindi erwachsen ist, reist sie immer wieder nach Indien. Sie hat sich als Kind immer gewünscht eine andere Hautfarbe zu haben.
Mihi Mischkulnig
ist 1963 geboren und betreibt seit dreißig Jahren einen Bio-Bauernhof in Franzendorf bei Ludmannsdorf. Er ist verheiratet und hat drei Töchter. Er reist sehr gerne, hat aber kaum Möglichkeit dazu. In Kürze wird er zum zweiten Mal nach Guatemala fliegen. Schon als Jugendlicher erfuhr er was es bedeutet Slowene zu sein. „Ich habe lange überlegt und mich schließlich entschlossen, dass ich auch trotz mancher Nachteile Slowene bleiben will.“
Angie Fasching
ist 33 Jahre alt und lebt in Klagenfurt. Sie ist gelernte Bürokauffrau. Ihre Mutter kommt aus Lavamünd, der Vater aus Nigeria, lebt aber schon lange in den USA. Ihrer Mutter habe der Großvater gesagt: „Du kannst mit jedem nach Hause kommen, aber nicht mit einem Schwarzen.“
Andre Sawadogo
ist 35 Jahre alt und lebt seit über zehn Jahren in Kärnten. Seinen Schulabschluss machte er wie seine Brüder in Italien. Der gelernte Elektrotechniker hat in den letzten Jahren umgesattelt und arbeitet selbstständig als Gärtner und Kräuterexperte. „Meistens sind es Institutionen wie die Polizei und andere, die dir das Gefühl geben, dass du anders bist“, hat Andre am eigenen Leib verspürt.
David Sawadogo
ist 38 Jahre alt und vor einigen Jahren mit seiner Familie nach Österreich ausgewandert. Davor lebte er in Italien, wo er auch sein Architekturstudium erfolgreich abschließen konnte. Er hat zwei Kinder und lebt mit seiner Familie in der Gemeinde St. Jakob. Die Arbeitssuche, so meint er, gestaltet sich für ihn aufgrund rassistischer Vorurteile sehr schwierig.
Adam Sawadogo
ist 32 Jahre alt und lebt mit seiner Partnerin und seinem kleinen Sohn ebenfalls in Kärnten. Er ist Elektro- und Automatisierungstechniker, seine Ausbildung wird in Österreich allerdings nicht anerkannt. „Ich habe das Gefühl, dass sich die Österreicher vor allem Neuen fürchten“, ist Adam überzeugt.
Gedenkjahr 1938-2018
12. März 1938:
Die Hitlertruppen marschierten in Österreich ein.
12. März 2018:
Im Ortszentrum von St. Jakob im Rosental/Šentjakob v Rožu wurde eine Herde weiß lackierter Metallschafe aufgestellt. Den ganzen Tag über waren im Ort Schafgeblöke, lautes Marschgeräusch und „Sieg Heil“-Rufe zu hören.
10. April 1938:
Die Bevölkerung wurde aufgerufen, für den „Anschluss“ Österreichs an Hitlerdeutschland zu stimmen. In St. Jakob stimmten drei Frauen dagegen. Der Gemeinde wurde daraufhin der Status als Führergemeinde verwehrt.
10. April 2018:
Drei schwarze Metallschafe kamen zur Schafherde dazu. Jedes Schaf wurde mit einem Plus oder einem Minus gekennzeichnet.
14./15. April 1942:
Die Gestapo deportierte zwölf slowenische Familien aus der Gemeinde.
14. April 2018:
Neben der Schafherde wurde ein alter Laster aufgestellt; einige Schafe, alle mit einem Minus versehen, aufgeladen.
16. April 1941:
Die Schulschwestern in St. Peter/Šentpeter erhielten den Befehl, ihr Gebäude zu verlassen. In die erste Schule mit slowenischer Unterrichtssprache in Kärnten zog die Gestapo ein.
16. April 2018:
Die Jugend ging im Schweigemarsch mit Mülltonnen von St. Jakob nach St. Peter. In den Mülltonnen befanden sich Schafe.
8. Mai 1945:
Österreich wurde von den Alliierten befreit.
Mai 2018:
Der vor dem Kino Janach wachsende Baum wurde entastet und entrindet, als Messlatte gestaltet und mit einem Schafskranz behängt. Die Bevölkerung war irritiert.
Sommer 1938:
Die „rassenkundliche“ Vermessung begann.
6. Juli 2018:
Die Messstation wurde feierlich eröffnet. Vor der Messlatte wurden Kanzel und Waage aufgestellt. Jede und jeder konnte überprüfen, ob er oder sie der Norm entsprach.